Samstag, 7. September 2002: Abendunterhaltung vom 7.9.02: "Die Weltsprache" - St. Galler Tagblatt vom 10.9.02

Gehörlose spielten in Wittenbach Theater - Gebärdensprache ist international Aus der ganzen Schweiz und umliegenden Ländern kamen Gehörlose nach Wittenbach. Hörende sind in diesem Kreis Behinderte.

Angeregte Diskussionen, Lachen, Umarmen, Wiedersehen. Trotz vollem Saal ist der Geräuschpegel tief. Hie und da ein Klatschen, ein Schlag mit der Handfläche auf den Tisch, ein Rufen, ein Handy klingelt. Lippen bewegen sich, Gesichter sprechen, der ganze Körper wird zur Geste. Die Menschen hier sind taub.

Da ist eine junge Frau, ihre Haare sind schwarz gefärbt, die Augen dunkel umrandet, Nietengürtel, Kaugummi. Ein Herr mit Bart und Brille geht von Tisch zu Tisch, grüsst alle freundlich. An einem der Tische sitzt ein Paar. Der Kopf des Mannes ist kahl rasiert, die Frau wirkt zierlich. Beide tragen eine schwarze Bomberjacke mit Aufschrift «Master of Hardcore». Etwas weiter dann eine elegante Dame in dunkler Abendkleidung. Sie winkt jemandem zu. Ein Teenager im Skaterlook unterhält sich mit einer Frau asiatischer Herkunft. Ein alter Mann geht vorbei, grau ist sein Haar, braun gebrannt seine Haut. Er trägt einen dünnen Oberlippenbart und ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Macho». Gehörlosigkeit verbindet, Grenzen schwinden. Gebärdensprache ist international, eine Weltsprache.


Die Hörende

«Gehörlose sind ehrlich und direkt», erklärt Petra Leuenberger, Gebärdendolmetscherin in Ausbildung. Sie wollte sich mit allen Menschen unterhalten können, darum lernte sie Fremdsprachen. «Doch die Gehörlosen im eigenen Land habe ich nicht verstanden», erzählt die 26-Jährige, die unter den Gehörlosen als Hörende bekannt ist. Sie wurde sehr herzlich aufgenommen. «Ich bin gerne hier, ich mag diese Menschen.»


Geborene Schauspieler

Die Abendunterhaltung des Gehörlosen-Clubs St. Gallen bietet ein Theaterstück. Intendantin ist Inge Scheiber-Sengl. Sie lehrt die Gebärdensprache in Winterthur und St. Gallen und ist Mutter dreier ebenfalls gehörloser Kinder. Sie fühlt sich geborgen an der Clubveranstaltung. «Ich brauche das. Ich fühle mich wohl hier.» Sie spricht leise, beherrscht die Lautsprache, weil sie ein bisschen hört. Die Clubmitglieder kommen aus der Schweiz, aus Österreich, Deutschland, Tschechien. «Hörende Menschen kommen kaum an die Veranstaltungen», erzählt Inge Scheiber, «sie fühlen sich hier behindert.» Es gibt witzige Szenen. Mimik und Gestik der Darsteller - Profis in Sachen Körpersprache - überzeugen. Statt Klatschen werden die Arme in die Luft gestreckt, die Finger hin und her bewegt.


Ereignisdatum: Samstag, 7. September 2002; Publikationsdatum: Dienstag, 10. September 2002
Quelle oder Autor: Suzanne Cubranovic (St. Galler Tagblatt)